Raketenballistik

Der Luftwiderstand von Modellraketen

hat einen entscheidenden Einfluß auf die Flughöhe einer Modellrakete, da ihr Flug in Regel in der Atmosphere erfolgt. Im Artikel Flugbahnen ungelenkter Raketen (mit Berücksichtigung des Luftwiderstands) wird der Einfluß des Luftwiderstands gezeigt. In der Formel sieht man den Faktor CD, der im Artikel als konstant angenommen wurde:
.
Dieser Faktor ist aber keineswegs konstant, sondern ändert sich in weiten Bereichen auch während des Fluges. Charles E. Rogers betont deshalb in seinem Artikel The Aerodynamic Drag of Rockets in der Zeitschrift High Power Rocketry, dass ohne eine Berechnung/Abschätzung des Luftwiderstands keine vernünftige Flughöhenberechnung möglich ist.

As can be seen without a prediction of the rocket CD there is really no prediction of altitude, as summed up in the following statemant: "If you are not predicting the CD of the rocket in an altitude prediction program, then you are not really predicting the altitude." (HPR, August 1995)

Die Betrachtung des Luftwiderstands bei Modellraketen erfolgt verschiedenen Publikationen, u.a.:

Mit diesem Artikel soll ein kurzer Überblick gegeben werden, wobei weitestgehend der Darstellung des TR11 gefolgt wird.

Ein beliebiges Objekt ist in der Atmosphere dem Druck des umschließenden Mediums ausgesetzt. Wird eine konstante Dichte des Mediums vorausgesetzt, dann wirkt auf gleich große Oberflächenteile der gleiche Druck, egal wo die Teile der Oberfläche liegen.
Wird dieses Objekt bewegt oder es wird einem strömenden Medium ausgesetzt, dann bildet sich an der Frontfläche ein Bereich erhöhten Drucks und an der Heckfläche ein Bereich verminderten Drucks. Das kann man z.B. auch deutlich bei Brückenpfeilern sehen, die von Wasser umströmt werden. Bei der Rakete treten die Druckerhöhung an der Spitze und die Druckverminderung am Heck auf. Beide Anteile sind wirken der Bewegung der Rakete entgegen. Sinnbildlich wird für das Zusammenschieben der Luft an der Spitze Energie verbraucht. Am Heck wird die Rakete durch den entstehenden Unterdruck festgehalten.

Ein weiterer Bestandteil des Luftwiderstands entsteht durch die Oberflächenreibung an der Aussenfläche der Rakete, die das sie umströmende Medium berührt. Dieser Bestandteil ist abhängig von der Viskosität der Luft, der Geometrie, der Oberflächenbeschaffenheit und der Geschwindigkeit.

Neben den beiden Anteilen des Körpers (Spitze = CDN, Rohr = CDBT, Heck = CDB) kommt nun noch der Anteil der Flossen (CDF) am Luftwiderstand hinzu, so dass sich folgenbde Formel angeben lässt: .
Da die Flossen und der Körper nicht rückwirkungsfrei auf einander einwirken, muss noch der Interferenzanteil (CDINT) addiert werden. Weitere Anbauten, wie z.B. Leitröhrchen (CDLL), erhöhen den Luftwiderstand. Die Formel wird ergänzt zu: .

Die angegebene Formel gilt nur für den Fall der Anströmung von vorn. Im Falle einer schrägen Anströmung erhöht sich der Wert in Abhängigkeit vom Anstömungswinkel.

Luftwiderstand von Spitze und Körperrohr

Die Bestimmung der einzelnen Anteile ist schwierig. Insbesondere haben die Vorgänge in der Grenzschicht, dem Zwischenraum zwischen Körperoberfläche und strömenden Medium, eine großen Einfluss. Hier ist zwischen laminarer oder turbulenter Strömung zu unterscheiden. Bei turbulenter Strömung sind die Beiwerte wesentlich größer als bei laminarer Strömung. Eine Ausnahme bildet der Luftwiderstand am Heck. Sein Anteil ist bei turbulenter Strömung geringer, da der Raum hinter der Rakete in diesem Fall besser "befüllt" wird.

Für die Anteile der Spitze und des Rohr wird im TR11 folgende Formeln angegeben: .
Dabei steht cf für die Oberflächenreibung (als Funktion der Reynoldszahlen), L/d für das Verhältnis von Länge zu Durchmesser (ein Maß für die Schlankheit der Rakete). SW/SBT ist das Verhältnis der Gesamtoberfläche zur Oberfläche des Körperrohrs.

Die Sonderrolle des Hecks wird deutlich, wenn man die Formel sieht:
.
Steigt der Wert von cf, dann sinkt der Wert von CDB, da sich die von Summe CDN und CDBT im Nenner befindet. Die nachstehende Abbildung verdeutlich die Zusammenhänge während der Freiflugphase noch einmal qualitativ:

Wesentlich für die Größe des Luftwiderstands ist der Wert von cf (Skin friction coefficient). Im Bereich laminarer Strömung ändert sich der Wert nur gering, wenn sich Geometrie oder Geschwindigkeit ändern. Wird die Strömung turbulent, dann nimmt der Wert beim Anstieg der Geschwindigkeit schnell zu (siehe vorstehende Abbildung). Kann die Art der Strömung keinem der Bereiche zugeordnet werden, dann kann der Wert von cf nur äußerst schwer (wenn überhaupt) bestimmt werden.
Eine Vorstellung vom Wertebereich den cf überstreicht, gibt das folgende Diagramm:
.

Man sieht, dass die Art der Strömung anhand der Reynoldszahlen bestimmt werden kann. Werte unter 100.000 charakteresieren eine laminare Strömung; Werte über 1.000.000 weisen auf eine turbulente Strömung hin. Der Wert der Reynoldszahl wird mit folgender Formel bestimmt:
.
Hierbei stehen v für die Geschwindigkeit, l für die Lünge, rho für die Dichte des Mediums und mue für die kinematische Viskosität des Mediums. Beide Materialkennzahlen sind nicht konstant, sondern hängen wiederum von anderen physikalischen Größen ab.

Anmerkungen zur Form der Spitze
Im TR11 wurde eine Kurve angegeben, die das Verhältnis des Koeffizienten für verschiedene Spitzenformen bezüglich einer flachen Oberfläche (Spitze als Zylinder) darstellt. Dabei fällt auf, dass Kegelformen einen doppelt so großen Beitrag wie gerundetete Formen liefern. Am besten schneiden parabelförmige Spitze ab.
Solange die Anströmung laminar ist und die Anströmung unterhalb der Schallgeschwindigkeit erfolgt, kann das Medium um die Spitze fließen. Es treten keine Schockwellen auf, so dass keine konstruktiven Massnahmen in Form kegelförmig zulaufenden Spitzen getroffen werden müssen.

Luftwiderstand der Flügel

Um den Anteil des Luftwiderstand, den die Flügel zum Gesamtluftwiderstand beitragen, zu ermitteln, erweist es sich als vorteilhaft, eine allgemeine Beschreibung für die Flügel zu finden.

Die Flügelstreckung (Aspect ratio) ergibt sich aus dem Verhältnis der Flügelfläche und der Flügelbreite. Die nachstehende Formel bezieht sich auf das nebenstehende Beispiel:
mit
.
Weitere charakteristische Größen sind die Flügelpfeilung und das Flügelquerschnittsprofil. Das Verhältnis von Flügeldicke (t) zu Flügeliefe (c) hat einen umso größeren Einfluß auf den Luftwiderstand, je weniger das Querschnittsprofil angepasst wurde. Bei stromlinienförmigen Flügeln hat die Dicke nur einen geringen Anteil am Widerstand. Das Abrunden der Vorder- und der Hinterkante eines Flügels halbiert den Beiwert im Vergleich zu einem unbehandelten Flügel.

Der Anteil des Luftwiderstands eines Flügels kann mit

ermittelt werden.

Die Formel zeigt wieder die Abhängigkeit von der Art der Anströung. Generell muss daher die Frage beantwortet werden, ob sich der Flügel in einer laminaren oder turbulenten Strömung befindet. So können Aufbauten am Körperrohr die Strömung im Bereich der Flügel turbulent werden lassen.

Beim Flügel liefern weitere physikalische Vorgänge ihren Beitrag zum Luftwiderstand, so dass der Anteil des Flügels insgesamt noch größer wird. Dabei handelt es sich zum einen um die Wechselwirkung mit dem Körperrohr und zum anderen um den induzierten Luftwiderstand.
Erfolgt eine schräge Anströmung des Flügels, so bewegt sich das Medium auf den beiden Seiten des Flügels mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Dies hat einen Druckunterschied zur Folge, welcher dann in Form des Auftriebs wirkt. Am Flügelende besteht keine Trennung mehr zwischen schnell und langesam strömendem Medium. Die Druckdifferenz wird abgebaut und es bilden sich Wirbel. Die Entstehung der Wirbel verbraucht Energie, die nicht mehr für die Bewegung der Rakete zur Verfügung steht.
Auch an der inneren Seite des Flügels ist die Anströmung nicht ideal, da sich hier die Verbindung zum Körperrohr befindet. Bei der Bestimmung des Luftwiderstandsbeiwertes muss dieser Zusammenhang beachtet werden. Wie die beiden Anteile berechnet bzw. berücksichtigt werden können, zeigt:
.
N steht für die Anzahl der Flügel, AF für die Flügelfläche und SBT für die Referenzfläche der Rakete (Querschnittsfläche des Rohres).

Optimale Flügelform

Im TR11 wird anhand der obigen Ausführungen die optimale Flüggelform diskutiert. Für den Unterschallflug gelten die Anmerkungen, die schon für die Form der Spitze gemacht wurden. Das Anspitzen der Frontkante eines Flügels ist nicht notwendig, da beim Flug keine Schockwellen entstehen.
Wesentlich günstigere Werte des Luftwiderstandsbeiwertes gegenügber einer unbehandelten flachen Frontfläche erreicht man durch Abrunden der Kanten oder durch eine Stromlinienform des Flügels.
Außderdem kann man den Diagrammen entnehmen, dass eine Ellipsenform gegenüber der Rechteckform einen wesentlich geringen Luftwiderstand aufweist. Die Ursache ist der geringere induzierte Luftwiderstand. Der Effekt wird um so größer, je breiter die Flügel sind (größerer Wert der Flügelstreckung).

Leitröhrchen

Im TR11 wird der Beitrag eines Leitröhrchens wie folgt abgeschätzt: .
Dabei ist SLL die Querschnittsfläche und SLLW die Oberfläche, die der Anströmung ausgesetzt ist.

Für alle wesentlichen Anteile wurden im TR11 Formeln angeben, die eine Abschätzung des Gesamtluftwiderstands möglich machen. Auch wenn eine quantitative Bestimmung noch von zahlreichen Vereinfachungen ausgeht, so lassen sich verschiedene Modelle qualitativ vergleichen.
Die hier zusammengefasste Darstellung berücksichtigt die Effekte einer schrägen Anströmung nicht. Bei der Implementierung der Formeln in einem Programm lässt sich eine Ergänzung um den Einfluß einer schrägen Anströmung leicht vornehmen.

... am Ende

Allen, die sich mit dem Luftwiderstand genauer auseinandersetzen wollen, sei als Einstieg der Technical Report von Estes empfohlen. Hier werden neben den Formel auch zahlreiche Modelle durchgerechnet. Der Report kann bei Belleville Hobby im Internet unter dem Titel Aerodynamic drag of Model Rockets geordert werden.